Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, starb der am Sylvesternachmittag von Spaziergängern bei Wesseloh aufgefundene Wolf nicht an einem Schuss, sondern durch einen Verkehrsunfall. Dabei ließen die Aussagen des erfahrenen Wolfsberaters, Bundesförsters und Jägers Jörg-Rüdiger Tilk keinen Zweifel an der Todesursache aufkommen: Er hatte bei der Untersuchung ein „Einschussloch“ gefunden und von einer „hässlichen Schussverletzung“ gesprochen mit der Folge, dass auch in der Statistik der Totfunde, die im Rahmen des offiziellen Wolfsmonitoring von der Landesjägerschaft Niedersachsen geführt wird, als Todesursache „illegale Tötung“ angegeben wurde. Umso überraschender ist das Ergebnis der am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin vorgenommenen Obduktion, der zufolge der Schädel eine für Verkehrsunfälle typische Haarriss-Fraktur aufweist.
Dieses Untersuchungsergebnis ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in Deutschland Wölfe Opfer illegaler Nachstellungen werden. Insgesamt listet die Statistik für Niedersachsen 10 Fälle, bundesweit sind es laut DDBW 53, wobei allgemein von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgegangen wird, da es in den letzten Jahren immer wieder Fälle gegeben hat, in denen einzelne Wölfe und sogar ganze Rudel ohne ersichtlichen Grund spurlos verschwunden sind. Doch nicht nur Wölfe, deren Abwesenheit der Jägerschaft jahrzehntelang als Legitimierung ihres Treibens in Feld und Flur diente, sind von illegalen Tötungen betroffen. Auch andere, durch das Bundesnaturschutzgesetz, die FFH-Richtlinie und die EU-Vogelschutzrichtlinie streng geschützte Arten wie Luchs, Fischotter, Biber und Greifvögel fallen Kriminellen zum Opfer. So wurden beispielsweise allein in NRW in den Jahren 2005 bis 2014 insgesamt 709 Greifvögel und Eulen erschossen, vergiftet oder in Fallen getötet. Besonders besorgniserregend ist auch die Situation bei der Luchspopulation im Böhmerwald, der sich auf das Dreiländereck Deutschland, Tschechien und Österreich erstreckt. Dort wurden im Zeitraum von 1982 bis 2016 insgesamt 83 illegal getötete Luchse registriert, darunter mehrere trächtige oder führende Weibchen.
Es gehört zu den Aufgaben der Naturschutzverbände, auf diese Missstände hinzuweisen, Defizite bei der Strafverfolgung und der Umsetzung der geltenden Vorschriften aufzuzeigen, Maßnahmen wie beispielsweise eine zentrale Dokumentation und die Einrichtung von Stabstellen für Umweltkriminalität einzufordern und sich dafür einzusetzen, dass Wilderei endlich im gesellschaftlichen und politischen Diskurs als ernstzunehmendes, kriminelles Problem erkannt wird. Es zählt ebenso zu den Aufgaben von Naturschutzverbänden zu überprüfen, ob von unseren Politikerinnen und Politikern verabschiedete Gesetze und Verordnungen gegen höherrangiges Recht verstoßen. Als der Bundestag im letzten Jahr die so genannte „Lex Wolf“ beschloss, obwohl namhafte Juristinnen und Juristen in der vorangegangenen Anhörung unisono zu dem Ergebnis gekommen waren, dass der Gesetzesentwurf in weiten Teilen dem europäischen Natur- und Artenschutzrecht widerspricht, reichten mehrere Natur- und Tierschutzorganisationen bei der EU-Kommission eine Beschwerde ein, die sich noch in der Verhandlungsphase befindet. Da in die Niedersächsische Wolfsverordnung weitere Verschärfungen zur Aufweichung des Schutzstatus des Wolfes aufgenommen wurden, ist es nur konsequent, dass der NABU Landesverband eine EU-Beschwerde gegen die Verordnung eingereicht hat. Denn auch in diesem Fall wurden die erheblichen fachlichen und rechtlichen Bedenken, die in einer umfangreichen Stellungnahme zum Verordnungsentwurf dezidiert aufgeführt wurden, vom Tisch gewischt. Wer dieses Vorgehen kritisiert und dem NABU vorwirft, zu polarisieren, Unwahrheiten zu verbreiten und Hass zu schüren, sollte dringend sein Verständnis von Rechtstaatlichkeit überprüfen und sich einmal selbst den Spiegel vorhalten.
Links zum Thema:
Das WWF-Hintergrundpapier 09/2019 „Wilderei in Deutschland – Illegale Tötung streng geschützter Wildtiere“ kann man unter https://www.wwf.de/themen-projekte/naturschutz-deutschland/wilderei-in-deutschland lesen und herunterladen.
Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion zum Thema „Wilderei in Deutschland“ (Drucksache 19/5358 vom 29.10.2018) findet sich hier: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/053/1905358.pdf.
Mit wachsender Sorge betrachtet der Kreisverband des Naturschutzbundes die Zunahme illegaler Wolfstötungen in der nördlichen Heideregion. „Das bei Wesseloh mit einer tödlichen Schussverletzung aufgefundene Jungtier ist nach dem Mitte Oktober bei Salzhausen schwer verletzt am Straßenrand entdeckten Wolf nun bereits der zweite Fall, in dem ein Wolf im letzten Jahr durch oder infolge eines Schusswaffengebrauchs in der nördlichen Heideregion ums Leben gekommen ist“, konstatiert Klaus Todtenhausen, 1. Vorsitzender des NABU Heidekreis und befürchtet zudem eine hohe Dunkelziffer gewilderter Wölfe. Dass der Anfang 2020 bei Rotenburg überfahrene Elternrüde des Visselhöveder Rudels eine verheilte Schussverletzung aufwies, sei ein weiteres Indiz für die zunehmende Aggressivität gegenüber einer streng geschützten Tierart, die verbal sowohl durch unsachliche, unausgewogene und reißerische Medienberichte als auch durch Forderungen nach „Obergrenzen“ und „wolfsfreien Zonen“ befeuert werde. „Wenn politische Entscheidungsträger wie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner oder Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies für eine vorsorgliche Bejagung im Rahmen eines Bestandsmanagements plädieren und ungeachtet der europarechtlichen Vorgaben alles daransetzen, den hohen Schutzstatus des Wolfes aufzuweichen und die Anforderungen an den Herdenschutz zu senken, darf man sich nicht wundern, wenn die Hemmschwelle sinkt und der eine oder andere Waffenbesitzer bei Nacht und Nebel den Finger am Abzug krümmt“, ergänzt Pressesprecherin Dr. Antje Oldenburg. Da bislang keine der neun zwischen 2000 und 2019 in Niedersachsen bekannt gewordenen illegalen Wolfstötungen aufgeklärt wurde, fordert der NABU-Kreisverband die zuständigen Behörden auf, entschlossener und konsequenter bei der strafrechtlichen Verfolgung vorzugehen. Sollte bei der Obduktion des jüngst erschossenen Wolfes tatsächlich ein Projektil geborgen werden, könnten sich daraus wertvolle Hinweise auf die Waffe und damit auch auf den Täterkreis ergeben. Wer sachdienliche Hinweise zur Ergreifung des Täters geben kann, sollte sich unbedingt an die Polizei wenden, denn das Töten eines streng geschützten Tieres sei kein harmloses Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die mit einer Geldbuße bis zu 50.000 €, dem Entzug der Waffenbesitzerlaubnis und sogar einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren geahndet werden kann.