Heidekreis. Die Allerniederung zwischen Schwarmstedt und Verden mit ihren Altarmen und Tümpeln, Auwaldresten, Gehölz- und Baumgruppen sowie offenen, teils durch Hecken strukturierten Grünländereien ist nicht nur für Brutvogelarten des Feuchtgrünlandes und den Erhalt charakteristischer Lebensgemeinschaften der Tieflandflüsse von besonderer Bedeutung, sondern gilt - in Abhängigkeit von Hochwasserereignissen, Witterungsbedingungen und Nahrungsangebot - auch als wichtiges Rast- und Überwinterungsgebiet für verschiedene Wasservogelarten. So sind leicht überschwemmte Wiesen vor allem bei Saat- und Blässgänsen beliebt, die nach einer drei- bis viertausend Kilometer langen Reise aus ihren arktischen Brutgebieten im Allertal Rast machen, bevor sie in ihre Winterquartiere am Niederrhein und in den Niederlanden weiterfliegen. Zwischen Mitte Oktober und Anfang März lassen sich alljährlich große Gänseschwärme mit bis zu 3000 Individuen beobachten, die laut rufend ihre Schlafplätze aufsuchen oder auf abgeernteten Maisäckern und mit Wintersaat oder Raps bestellten Feldern nach Nahrung suchen.
Da ziehende und überwinternde Wildgänse und Schwäne in vielen Küstenregionen sowie den Niederungen von Elbe, Aller, Weser und Ems geeignete Rastlebensräume vorfinden, hat Niedersachsen eine hohe Verantwortung für ihren Schutz. Waren es bislang vor allem Konflikte mit Landwirten, die es zu lösen, und Störungen durch Flugzeuge, Hubschrauber und Freizeitnutzungen, die es zu vermeiden galt, so drohen illegale Jagd und Fehlabschüsse zu einer weiteren Gefahr für die geschützten Vögel zu werden. „Der Abschuss von Saat- und Blässgänsen ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die entsprechend geahndet werden muss“, kommentiert der 1. Vorsitzende des NABU Heidekreis, Klaus Todtenhausen, einen Fall, der im Vogelschutzgebiet „Niedersächsische Mittelelbe“ im Landkreis Lüneburg von Augenzeugen beobachtet wurde. Leider seien Polizei, Jagd- und Naturschutzbehörden sowie Staatsanwaltschaften häufig nicht willens oder fähig, konsequent gegen illegale Jagdpraktiken und andere Formen von Natur- und Umweltkriminalität vorzugehen, wie einmal mehr der Fund von 37 toten Gänsen bei Twist im Landkreis Emsland zeige. Zwar sei im Rahmen einer ersten Untersuchung eine Graugans bestimmt worden, doch gebe es erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei allen Opfern um Graugänse gehandelt habe, da die im Emsland überwinternden Gänsetrupps überwiegend aus Saat- und Blässgänsen bestehen und eine Unterscheidung der verschiedenen Arten fundierte Kenntnisse sowie gute Optik und Sichtverhältnisse voraussetze. Dennoch wurde auf die Artbestimmung sämtlicher toter Gänse verzichtet.
Ähnlich nachlässig wurde im letzten Jahr bei dem Totfund mehrerer streng geschützter und aufgrund massiver Bestandsrückgänge selten gewordener Zwergschwäne in einem Naturschutzgebiet im Emsland vorgegangen. Dank einer im Rahmen eines NABU-Projektes erfolgten Besenderung konnten die offenbar an Schussverletzungen gestorbenen Vögel zwar in einem Anhänger tot geborgen werden, doch wurde die Verfolgung vorerst eingestellt, weil der Täter behauptet, die Tiere nur von ihrem Leid erlöst zu haben – eine Behauptung, die weder durch die Auswertung der Senderdaten noch durch die Obduktion belegt werden konnte.
Diese kleine Auswahl an Beispielen lege die Vermutung nahe, dass naturschutzfachliche Aspekte sowie die Vorgaben der Jagd- und Naturschutzgesetze auch in Niedersachsen immer weniger Beachtung finden. „Wer glaubt, illegale Vogeljagd und Wilderei seien auf Südeuropa, Afrika und Asien beschränkt, irrt gewaltig“, sagt Pressesprecherin Dr. Antje Oldenburg. So gehe aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2018 hervor, dass in Deutschland illegale Fallen, Vergiftungen und Abschüsse vor allem für Greifvögel, Luchse, Wölfe und Fischotter eine ernste Gefahr für ihre Bestandsentwicklung darstellten und man außerdem aufgrund mangelnder Kontrollen von einer hohen Dunkelziffer auszugehen könne. „Wir schließen uns deshalb der Forderung unseres Landesverbandes an, so schnell wie möglich eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft oder eine Stabsstelle Umweltkriminalität aufzubauen, um jagd- und naturschutzrechtliche Delikte effektiv zu bekämpfen und durch die Vernetzung von Behörden und Verbänden sowie durch die professionelle Begleitung von Strafverfahren die Anzahl an Schuldsprüchen deutlich zu erhöhen.“