Mit gefletschten Zähnen und stechendem Blick nimmt er ahnungslose Fahrradfahrer ins Visier, die bei sommerlichen Temperaturen auf dem Allerradweg zwischen Ahlden und Rethem unterwegs sind. Nein, er versteckt sich nicht hinter einem Busch, lugt nicht hinter einer der mächtigen Eichen hervor, die am alten Bahndamm stehen, sondern prangt in der Mitte eines Banners, das an einer Pferdekoppel hängt. Der Wolf, Menschenfresser und Bösewicht seit Urgedenken, hat es – so viel hat sich inzwischen selbst zu den Mitgliedern des vor einem halben Jahr gegründeten Vereins Weidezone Deutschland herumgesprochen - weniger auf uns selbst als vielmehr auf unsere Haus- und Nutztiere abgesehen, die wir schließlich zu eigenem Nutzen und Frommen halten. Sie sind unsere besten Freunde, tragen uns willig durch Feld und Flur oder erfreuen uns bei einer Landpartie auf saftig-grünen Weiden, so dass wir anschließend mit gutem Gewissen ein Lammkotelett oder ein Rindersteak verspeisen können. Doch der Wolf bedroht nicht nur die pastorale Idylle friedlich grasender Schafe, Kühe und Pferde, sondern er ist sogar eine Gefahr für die BIODIVERSITÄT. Und damit der unwissende Betrachter gar nicht erst darüber nachgrübeln muss, welche der Millionen von Tier- und Pflanzenarten durch die Anwesenheit der Wölfe bedroht sein könnten, werden die Fotos fleißig bestäubender Insekten gleich mitgeliefert. Nun hat das dramatische Insektensterben nachgewiesenermaßen lange vor der Rückkehr der Wölfe begonnen und wird maßgeblich durch die mengen- und flächenmäßig hohe Anwendung von Herbiziden und Insektiziden, den Verlust der Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft, die Eutrophierung von Böden und Gewässern durch Nährstoffeinträge, den Flächenfraß sowie die Lichtverschmutzung verursacht, doch warum sollte man sich mit komplexen Sachverhalten auseinandersetzen und zeit- und arbeitsintensive Herdenschutzmaßnahmen ergreifen, wenn man einen Sündenbock für die Probleme des ländlichen Raumes gefunden hat, den unsere Vorfahren - Gott hab sie selig - ganz zu Recht ausgerottet hatten?
Übrigens: Es gibt noch einen weiteren Beschleuniger für den Insektenschwund. Er ist rechts neben dem Unterstand auf der Koppel zu erkennen, auf der die Pferde je nach Niederschlagsmenge entweder im Mull oder im Schlamm stehen. Laut Hersteller sollen die aus einem schwarzen Ball, einem trichterförmigen Netz als Leitvorrichtung und einem Fangbehälter bestehenden Bremsenfallen einen effektiven Schutz vor den schmerzhaften Bissen der Pferdebremse bieten, indem sie deren Population auf einer Fläche von 10.000 m2 um bis zu 95% reduzieren. Diese Behauptung wurde 2020 durch eine Freilandstudie widerlegt, in deren Rahmen der Inhalt von sechs Bremsenfallen an unterschiedlichen Standorten in Nordrhein-Westfalen von Mai bis Oktober wöchentlich analysiert wurde, um ihre Effektivität und Selektivität zu untersuchen. Bei den 53.438 gefangenen Individuen handelte es sich nur in 2.022 Fällen um Bremsen, aber in keinem einzigen Fall um eine Pferdebremse. Der Anteil an Beifang variierte je nach Standort zwischen 71% und 98,5% und umfasste vor allem verschiedene Fliegen- und Mückenarten, aber auch Wildbienen und Schmetterlinge – also auch jene Arten, die die fantasievolle Kollage der Weidezone zieren.
Dr. Antje Oldenburg