Positionspapier NABU Heidekreis zum Thema Energiewende und Artenschutz

Der NABU HK vermisst in der öffentlichen Diskussion eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein energiewirtschaftliches Konzept aus­sehen soll. Primärer Schwerpunkt der Debatte sollte sein, wie man Energie ein­sparen kann, wie sich die Energieeffizienz steigern ließe. Ist dieses Potenzial ausgeschöpft, wäre der rechnerisch erforderliche Energiebedarf zu schätzen und zu entscheiden, in wie hohem Maß die erneuerbaren Energien dazu beitragen können. Dann wäre zu fragen, welche erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen und welchen Beitrag sie zur Energieversorgung leisten können. Eine Rangfolge könnte gebildet werden, weil nicht alle erneuerbaren Energiequellen als gleichwertig zu betrachten sind (hinsichtlich ihrer Qualitäten und ihrer Aus­wirkungen). Diese Schätzung ließe dann eine Ermittlung zu, welche der regene­rierbaren Energieformen wie viel an dem derzeitigen und zusätzlichen Energie­bedarf produzieren soll, wie viele neue Stromquellen erforderlich sind und wel­cher Flächenbedarf besteht, um die Standorte für die erforderliche Energiever­sorgung zu sichern. Ein solches Gesamtkonzept würde auch die öffentliche De­batte besser strukturieren und Erklärungen für die Bevölkerung erleichtern. 

Der NABU HK steht auf dem Standpunkt, dass die einseitige Förderung der Windenergie oder die öffentliche Diskussion über den forcierten Ausbau der Windenergie nach außen eher konzeptlos wirkt. 

 

Grundsätzlich stimmt der NABU HK dem Positionspapier des NABU von 2016 und dem ergänzenden Papier des NABU Niedersachsen vom Juni 2021 (Dr. Best) zu. In folgenden Punkten stimmen wir allerdings nicht überein:

 

Windkraftanlagen in Wäldern: Im NABU-Papier wird vorgeschlagen, über eine Öffnung von Wäldern nachzudenken, die durch industrielle oder gewerbliche Nutzungen in der Vergangenheit vorbelastet sind. Dies ist in unseren Augen zu kurzsichtig gedacht. Wir haben im Heidekreis Beispiele für Wälder, in denen vor einigen Jahrzehnten Erdöl gefördert wurde. Die Ölförderung ist ein histori­sches, museales Relikt, an einigen Stellen sind jedoch Belastungen von Boden und Grundwasser verblieben, an anderen saniert worden. Aufgrund des Zeit­faktors und der eingetretenen Regeneration hat sich die Vorbelastung so weit gemindert, dass der ökologische Wert dieser Wälder wieder höher einzustufen ist. Daher sollten Wälder, die durch eine länger zurückliegende industrielle oder ähnliche Nutzung belastet waren, aus der Öffnungsklausel herausgenommen werden, wenn die Folgen dieser Nutzungen nicht mehr wahrnehmbar sind oder vernachlässigt werden können.

 

Im LV-Papier wird behauptet, dass es in Niedersachsen weder größere unzer­schnittene verkehrsarme Waldflächen noch alte Waldstandorte und Wald-Wild­nis-Gebiete gebe (S. 6 oben). Dies erscheint uns nicht richtig. Wir erinnern an den Hasbruch bei Delmenhorst und den Lüßwald in der Südheide. Im Elbe-We­ser-Dreieck gibt es (ausweislich der Heftreihe "NNA-Berichte" der Naturschutz-Akademie Schneverdingen, Heft 3 (1994) im Jg. 7 mit dem Titel: Bedeutung historisch alter Wälder für den Naturschutz, S. 1 -164) mind. 5000 ha alten Wald. Außerdem wurde im Niedersächsischen Weg vereinbart, im Solling ein 1000 ha großes Wildnisgebiet auszuweisen. Wir regen daher an, diesen Passus zu korrigieren.

 

Grundsätzlich sollte eine Beweislastumkehr eingeführt werden und vom Wind­energiebetreiber gefordert werden, dass dieser die Unbedenklichkeit seiner Technologie in Bezug auf Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen nach­weist. Es sind ja technische Innovationen gemacht worden, die das Kollisionsri­siko wenigstens vermindern (Abschalteinrichtungen, ein schwarz angestrichener Flügel). Solche Maßnahmen/Vorrichtungen sollten Standard sein. Ein Teilneh­mer unserer AG wusste zu berichten, dass es in Spanien antennenförmige WEA gibt, die den Strom durch vom Wind verursachte Vibration erzeugen. Dies er­scheint uns auch ein mögliches Mittel, um Schlagopfer zu vermeiden.

Da der Wald eine wichtige CO2-Senke ist, sollte grundsätzlich bei WEA im Wald angemessene Ersatzaufforstung gefordert werden. 

Da Wälder Lebensräume besonders und streng geschützter Arten sind (z.B. Schwarzstorch, Wildkatze), sollte wissenschaftlich geklärt sein, welche Quali­täten dieser Lebensräume nicht beeinträchtigt sein dürfen, damit sie weiterhin ihre Funktion erfüllen können.

Das BNatSchG oder das BauGB sollten einer ungehemmten Privilegierung von WEA klare Grenzen setzen. 

Besondere Beachtung sollte eine bessere zahlenmäßige Erfassung und Doku­mentation von Totfundopfern finden. Vom Landesamt für Umwelt Brandenburg liegt uns z.B. eine Liste mit Fundzahlen vor. Wir wissen nicht, ob es in Nieder­sachsen ähnliche Dokumentationen gibt.

Eine verbindliche Definition für den Begriff „windenergiesensibler Arten“ gibt es in Deutschland offenbar nicht. Die einzige Definition fanden wir in dem Leit­faden "Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt". Dort werden 37 Arten aufgezählt. Siehe unter: https://mule.sachsenanhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MLU/MLU/04_Energie/Erneuerbare_Energien/Windenergie/181126_Leitlinie_Ar­tenschutz_Windenergieanlagen_barrierefrei.pdf

Unsere Forderung: Die Erfassung von Totfunden/Schlagopfern ist zu standardi­sieren, eine systematische verbesserte Datenerhebung ist einzurichten. Mögliche technologische Innovationen zur Vermeidung von Schlagopfern könnten zu Auflagen in Genehmigungen gemacht werden. Letztlich haben auch WE-Betrei­ber einen Nutzen, wenn ihre Anlagen weniger tote Tiere „produzieren“ (öffent­liche Akzeptanz). Wir unterstützen ausdrücklich das Bekenntnis des NABU zum Helgoländer Papier mit seinen Mindestabständen, zum individuell bezogenen Tötungsverbot des § 44 BNatSchG und zu den Vorgaben der EU-Vogelschutz-RL.

 

Generell sollte bei der Standortwahl die Barrierewirkung berücksichtigt werden, die Windkraftanlage nachweislich beim Vogelzug und beim Wechsel zwischen Rast- und Nahrungshabitaten haben. Dies gilt insbesondere bei Planungen in der Nähe von FFH- und Vogelschutzgebieten. So gibt es beispielsweise nördlich der Allerniederung bei Groß Eilstorf bereits einen Windpark, der in Richtung Wes­ten erweitert werden soll. Gleichzeitig plant eine Forstgenossenschaft die Er­richtung von WEA südlich des Allertals im Bosser Bruch.  In solchen Fällen sollten auch kumulative Effekte im Genehmigungsverfahren berücksichtigt und mögliche negative Auswirkungen auf die Schutzgebiete und die dort vorkom­menden Arten zur Brut- und Zugzeit untersucht werden. 

 

Beachtlich finden wir auch das erhöhte Waldbrandrisiko, das von WEA im Wald ausgehen könnte (Brandgefahr bei WEA in Verbindung mit häufiger auf­tretenden Dürreperioden in Wäldern).

 

Leicht ergänzter Text von Thomas und Ulrike Bartsch, NABU Heidekreis:

 

Grundsätzlich untermauern wir das Kernargument, dass Klimaschutzmaßnah­men nicht primär der Wirtschaft und den Energieriesen, sondern vor allem dem Erhalt unserer Ressourcen, der Natur, unserer Umwelt und mithin dem Arten­schutz dienen sollen.

 

Auf keinen Fall darf der Artenschutz gegen den Klimaschutz ausgespielt wer­den.

 

Ebenso dürfen Klimaschutzmaßnahmen nicht sich selbst widersprechen, indem sie gegen die zunehmende Notwendigkeit des klimarelevanten Boden-, Moor- und Waldschutzes verstoßen.

 

Wir möchten in diesem Kontext auf den Waldschutz fokussieren, zumal der Wald in mehrfacher Hinsicht (vor allem als CO2-Senke) eine hohe Klima­schutzbedeutung hat. 

Dabei beziehen wir uns auf eine Arbeit der „Fachagentur Windenergie an Land e. V.“ mit dem Titel „Entwicklung der Windenergie im Wald“ (6. Auflage, 2021).

 

Auf S. 9 heißt es:

„Mit einer Gesamtfläche von 11,4 Mio. Hektar (114.000 km²) ist etwa ein Drit­tel der Fläche Deutschlands mit Wald bedeckt. Den größten Anteil beim Wald­bewuchs nehmen Nadelwaldtypen mit Laubbeimischung ein (30 Prozent), ge­folgt von reinen Nadelwäldern (27 Prozent) und reinen Laubwäldern (22 Pro­zent). Laubwälder mit Nadelbeimischung stehen auf einem Fünftel des Bundes­gebiets.“

 

Auf S. 10 werden die Flächenanteile des deutschen Waldes nach „sehr natur­nah“, „naturnah“, „bedingt naturnah“, „kulturbetont“ und „kulturbestimmt“ an­gegeben (Quelle: Bundeswaldinventur). Im Gesamtergebnis wurden 14,5 % der Waldfläche als sehr naturnah, 21,3 Prozent als naturnah angegeben – und „mehr als 40 Prozent der Wälder in Deutschland weisen eine nur bedingte Naturnähe auf“.

 

Daher können wir dem Vorschlag des NABU Niedersachsen, die potenzielle Nutzung von Windenergie im Wald solle „mindestens in Schutzgebieten und anderen ökologisch besonders wertvollen, insbesondere alten Waldstandorten“ ausgeschlossen werden, insofern nicht zustimmen, als dies im Umkehrschluss bedeuten würde, dass in mehr als 40 % des deutschen Waldes der Bau von Windenergieanlagen grundsätzlich möglich sein solle. Dies wäre aus unserer Sicht nicht hinnehmbar.

 

Ebenso akzeptieren wir nicht den zu allgemein formulierten Vorschlag, dass mit technischen Einrichtungen und Bauten vorbelastete Flächen, die sich nicht für eine langfristige ökologische Waldentwicklung eignen würden, grundsätzlich für die Inanspruchnahme für Windenergieanlagen in Frage kommen sollten.

Hier müsste differenziert dargelegt werden, ab welchem ökologischen Maßstab von einer ökologischen Waldentwicklung auszugehen sei und nach welchen Kriterien dieser Maßstab nicht erreicht werden könne. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass „vorbelastet“ mit einer fehlenden ökologischen Entwicklungsmög­lichkeit letztlich undifferenziert und ungeprüft gleichgesetzt würde.

 

Außerdem geben wir zu bedenken, dass der Wald auch gerade auf vorbelasteten Flächen eine ökologisch wichtige Kompensationswirkung erzielen kann.

Es bedürfte also einer jeweiligen Einzelfallprüfung, ob eine vorbelastete Fläche für den Bau von Windenergieanlagen in Frage kommt oder nicht. Dabei müssten nicht nur der Baumbestand als solcher, sondern auch die Begleitflora und die jeweils beheimatete Tierwelt in die Gesamtbeurteilung einfließen.

 

Ein weiterer Aspekt ist die Flächeninanspruchnahme durch Windenergieanla­gen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass für die Betriebszeit der Anlage ein Teil der Fläche von Baumbestand freizuhalten ist. Gemeint sind Flächen für das Fundament der Anlage, für die Kranaufstellung, den Kranausleger und für eventuell erforderliche Hilfsflächen. Auch für den Wegebau sind partiell dauer­hafte Waldumwandlungen erforderlich (Zuwegung im Wald, die über den ge­samten Betriebszeitraum der Anlage auf Fahrzeugbreite ausgebaut bleiben muss).

 

Das erklärte Ziel der EU, der Bundes- und Landesregierung ist daher der Erhalt von Wald und die Verbesserung der Waldstruktur, um die Funktionen des Wal­des: Wasserschutz, Wirtschaft, Klimaschutz und Naturschutz zu erhalten. Bei der derzeitigen sichtbaren und spürbaren Klimaproblematik kommt dem beste­henden (sic!) Wald eine besonders gewichtige Bedeutung zu. Im Rahmen der Bundeswaldinventuren sind in den vergangenen Jahrzehnten die Leistungen des Waldes zum Wohle des Menschen erfasst und dargestellt worden. 

Laut der Arbeit „Entwicklung der Windenergie im Wald“ (s.o./S. 15) werden nach einer Erhebung durch die Fachagentur Windenergie (Frühjahr 2020) pro Windenergieanlage dauerhaft 0,46 ha und temporär (Bauphase) zusätzlich 0,40 ha in Anspruch genommen.

 

Man übertrage diese Flächeninanspruchnahme auf beispielsweise 230 WEA! Folgende Leistungen des Waldes würden in dieser Beispielrechnung durch WEA entfallen: 

  • Produktion von ca. 142,5 Mio. Liter sauberem Wasser,
  • Produktion von ca. 2197 Tonnen Sauerstoff, 
  • Filterung von ca. 5825,5 Tonnen Staub und Ruß,
  • Entzug von ca. 1069,6 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre,
  • Bindung von ca. 484,5 Tonnen CO2.

Aus den genannten Gründen sind wir gegen eine Öffnung des Waldes für die Entwicklung der Windenergie. Allenfalls kämen im Rahmen einer Ausnahme­genehmigung vorbelastete Flächen nach einer Einzelfallprüfung in Frage.

 

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Todtenhausen

(NABU Heidekreis e.V.)

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