Pressemitteilung - April 2023

Fakten statt Fake News, Schützen statt schießen

Naturschutzbund Heidekreis zum „Tag des Wolfes“ am 30. April

Pferdeweide mit 6-reihigem, 140 cm hohen Elektro-Festzaun im Lichtenmoor (Foto: Peter Schütte/NABU-Projekt „Herdenschutz Niedersachsen“)
Pferdeweide mit 6-reihigem, 140 cm hohen Elektro-Festzaun im Lichtenmoor (Foto: Peter Schütte/NABU-Projekt „Herdenschutz Niedersachsen“)

I

Kaum hatte das Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft den ersten Quartalsbericht 2023 her­ausgegeben, titelte die Nordwest Zeitung „Population wächst exponentiell“ und verbreitete damit einmal mehr eine seit Jahren durch die Medien geisternde Behauptung, die schon lange nicht mehr stimmt. Denn das Wachstum der Wolfspopulation hat sich nicht nur bun­desweit deutlich verlangsamt, sondern ist in einigen Bundesländern sogar fast zum Erliegen gekommen. „In Sachsen und Brandenburg hat sich die Anzahl der Wolfsreviere in den letz­ten beiden Jahren kaum verändert“, fasst Dr. Antje Oldenburg, Pressesprecherin des NABU Heidekreis, die Ergebnisse der Monitoringberichte zusammen und vermutet, dass auch in Niedersachsen der Maximalbestand bald erreicht sein dürfte. Zwar hat sich im Vergleich zum letzten Quartal 2022 die Anzahl der Wolfsrudel durch den Reproduktionsnachweis in Braunlage und Wietzendorf  leicht von 44 auf 46 und die der Territorien von 49 auf 51 er­höht, doch handelt es sich dabei um Gebiete, die vorher unter Beobachtung standen und in denen nun jeweils ein Wolfspaar nachgewiesen werden konnte. Da außerdem sechs Rudel noch immer nicht bestätigt seien, müsse sogar mit einem Rückgang der Wolfsvorkommen gerechnet werden. „Wer angesichts dieser Zahlen von exponentiellem Wachstum spricht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, entweder gegen die journalistische Sorgfaltspflicht zu verstoßen oder gezielt Falschinformationen zu verbreiten, um Ängste und Vorbehalte zu schüren und den Boden für populistische Forderungen zu bereiten“, konstatiert der 1. Vorsit­zende Klaus Todtenhausen und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Ablage ei­nes entstellten Wolfskopfes vor dem NABU Artenschutzzentrum in Leiferde. Stimmungs­mache und ten­denziöse Berichterstattung, gepaart mit Halbwahrheiten und abstrusen pseudo-wissenschaftlichen Theorien, heizten die emotional aufgeladene Diskus­sion in Sachen Wolf unnötig auf und trügen zu einer besorgniserregenden Zunahme an Aggressionen bei. Diffa­mierende Ausdrücke wie „Wolfkuschler“  und „Wolfsprofiteure“ seien an der Tagesordnung, verbale Entgleisungen und Drohungen nicht selten. „Wir weisen Vorwürfe, der NABU würde sich am Wolf finanziell bereichern, aufs Schärfste zurück“, sagt Peggy Welz, die sich gemeinsam mit anderen Aktiven bereits mehrfach ehrenamtlich im Herdenschutz engagiert hat und betont, dass es dem NABU ausschließlich um den Erhalt, den Schutz und die Förderung der Biodiversität geht. 

 

„Wo der Wolf jagt, wächst der Wald“

 

Wölfe sind ebenso ein selbstverständlicher und wichtiger Bestandteil der Biodiversität wie Ameisen und Asseln, Kröten und Krähen, Mäuse und Marder, Schwalben und Schmetter­linge und tragen dazu bei, die Ökosysteme stabil und leistungsfähig zu halten. Als große Beutegreifer fördern sie die Vitalität der Wildtierbestände, da sie häufig kranke, verletzte und schwache sowie junge und alte Beutetiere jagen. Wie erste Studien zeigen, führt die Anwesenheit von Wölfen nicht nur zur Regulierung der Wildpopulationen, sondern wirkt sich auch positiv auf den Waldumbau aus: Aufgrund sinkender Reh- und Hirschbestände sowie durch ein verändertes Raumnutzungsverhalten der Beutetiere nehmen Verbiss-, Nage- und Schälschäden an jungen Bäumen ab. Ein weiterer Effekt ist die Schaffung neuer ökolo­gischer Nischen für Organismen, die sich von zurückgelassenen Beuteresten ernähren. Ne­ben den so genannten „Nachnutzern“ wie Füchsen, Dachsen, Mardern, Wildschweinen und Krähenvögeln profitieren auch Heerschaaren von zersetzenden Bakterien, Pilzen, Würmern, Milben, Käfern und Schnecken von den Überbleibseln, die im Verlauf des Abbauprozesses in Humus und in anorganische Stoffe umgewandelt werden, die wiederum die Grundlage für das Wachstum von Pflanzen bilden. 

 

„Der Wolf sei satt, die Schafe unversehrt“ 

 

Auch wenn die Hauptnahrung der Wölfe in Deutschland aus Rehen, Wildschweinen, Rot- und Damhirschen besteht und Nutztiere mit bis zu 1,6 Prozent der erbeuteten Biomasse nach­weislich nur eine marginale Rolle im wölfischen Speiseplan spielen, sind die mit Übergriffen verbundenen Belastungen für Nutztierhalter/innen nicht von der Hand zu weisen. Auch aus diesem Grund setzt sich der NABU weiterhin für eine adäquate fachliche sowie finanzielle Unterstützung der Nutz- und Wiedetierhaltungen in Sachen Herdenschutz ein und fordert gleichzeitig dazu auf, die Risszahlen mit Augenmaß und Verhältnismäßigkeit zu betrachten und von jenen Ländern und Kulturen zu lernen, die Wölfe und andere große Beutegreifer als Teil ihrer Lebenswelt betrachten und auf eine ununterbrochene Tradition des Herdenschutzes zurückblicken. Denn dass Herdenschutzmaß­nahmen bei fachge­rechter Anwendung wirken, spiegelt sich auch in der Statistik der Lan­desjägerschaft wieder, die einen Rückgang der Übergriffe um 30% von 128 im letzten Quartal 2022 auf 89 im ers­ten Quartal dieses Jahres dokumentiert, wobei laut offizieller Schadenstabelle in mehr als 50 Prozent der Fälle nach­weislich kein ausreichender Grundschutz vorhanden war. „Die zu­nehmende Forderung nach einer Bejagung von Wölfen ist nicht nur rechtswidrig, sondern vollkommen sinnlos, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich Übergriffe durch Abschuss­quoten re­duzieren lassen“, resümiert Klaus Todtenhau­sen. „Wie Vergleiche zwischen verschiedenen europäi­schen Ländern zeigen, ist nicht die Größe der Wolfsbestände oder die Anzahl der Nutztiere für das Ausmaß der Schä­den an Nutztieren entscheidend, sondern wie gut oder schlecht sie vor Wolfsübergriffen ge­schützt sind. Konflikte lassen sich daher langfristig nur durch ord­nungsgemäßen, flächendeckenden Herdenschutz lösen.“