Man könnte sie fast für ein Phantom halten, denn selbst Experten bekommen sie kaum zu Gesicht. Geräuschlos und nahezu unsichtbar schleichen sie durch das Unterholz reich strukturierter Mischwälder, gehen in der Dämmerung am Waldessaum und auf Lichtungen auf Mäusejagd: Die europäische Wildkatze, die in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert durch gnadenlose Verfolgung nahezu ausgerottet wurde, kehrt auf Samtpfoten in ihre Heimat zurück. Dank intensiver Schutzmaßnahmen leben deutschlandweit schätzungsweise wieder 5.000 bis 10.000 der scheuen Jäger, die in Niedersachsen zunächst den Harz und die dicht bewaldeten Mittelgebirgszüge des Weserberglandes besiedelt haben, inzwischen aber auch im Flachland festgestellt wurden. So konnten 2017/2018 im Rahmen einer vom BUND durchgeführten Wildkatzenerfassung erste Nachweise im Heidekreis nordöstlich von Bispingen und südlich von Hedern und Rethem erbracht werden.
Aufgrund ihrer erfreulichen Ausbreitung droht der nach wie vor gefährdeten Art jedoch neues Ungemach: Wohlmeinende Spaziergänger halten den maunzenden Nachwuchs, der hauptsächlich im April nach einer Tragzeit von 63 bis 69 Tagen in bodennahen Baumhöhlen, verlassenen Bauten, Wurzelhöhlungen oder Holzpoltern zur Welt kommt, für verwaiste Hauskatzenjunge, nehmen ihn mit nach Hause oder geben ihn in Tierheimen und Tierarztpraxen ab. Wird nicht rechtzeitig erkannt, dass es sich um Wildkatzen handelt, kann aus der gutgemeinten Hilfsaktion eine lebensbedrohliche Odyssee werden. Denn Wildkatzen vertragen kein handelsübliches Katzenfutter, infizieren sich in Tierheimen und Privathaushalten leicht mit schwerwiegenden Krankheiten und landen bestenfalls in Wildtierauffangstationen, wo die gestressten Kätzchen mit erheblichen Aufwand aufgezogen und anschließend wieder ausgewildert werden müssen. Damit es erst gar nicht so weit kommt, ruft der BUND in seinem Projekt „Wildkatzen – Vorsicht Verwechselungsgefahr“ dazu auf, graugetigerte Katzenjunge zunächst im Wald zu lassen und sich lieber zu einem späteren Zeitpunkt zu vergewissern, ob die Jungen tatsächlich in Not sind. In den meisten Fällen ist die Katzenmutter nämlich nur auf Mäusejagd oder wartet gut versteckt auf eine günstige Gelegenheit, unbemerkt zu ihrem hungrigen Nachwuchs zurückkehren zu können. Sollte sich herausstellen, dass die Kätzchen tatsächlich verwaist sind, ist es ratsam, die Bergung – nicht zuletzt auch aus artenschutzrechtlichen Gründen – Fachleuten zu überlassen, die dann die notwendigen Schritte wie beispielsweise eine tierärztliche Untersuchung oder die Unterbringung in einer Auffangstation einleiten.
Während sich Wildkatzen aufgrund ihrer stärkeren Fellzeichnung in den ersten Lebensmonaten nicht sicher von Hauskatzen unterscheiden lassen, weisen Erwachsene einige charakteristische Merkmale auf, die eine Identifikation verletzter oder toter „Fundtiere“ erlauben. So sind Wildkatzen vor allem an ihrem verwaschenen grau-gelben Fell und ihrem breiten, buschigen Schwanz zu erkennen, der in der hinteren Hälfte zwei bis drei dunkle, deutlich abgesetzte Ringe und ein schwarzes, stumpfes Ende aufweist. Außerdem wirken sie insgesamt etwas größer und plumper, haben eine wuchtig-breite Schnauzenform mit kräftigen, gut ausgebildeten Schnurr- und Tasthaaren und einen hell fleischfarbenen Nasenspiegel. Im Gegensatz zu Hauskatzen reicht die schwarze Sohlenfärbung an den Hinterfüßen nie bis zur Ferse, sondern besteht lediglich aus einzelnen Flecken. Zwar ist die Aufnahme verletzter Wildkatzen aus tierschutzrechtlichen Gründen prinzipiell erlaubt, sie sollte allerdings zeitnah der Unteren Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung gemeldet werden. Auch ist es ratsam, sich möglichst Unterstützung bei Wildkatzenexpert*innen zu holen und beim Bergen kratzfeste Handschuhe zu tragen.
Ansprechpartner BUND Niedersachsen: Tel.: 0511/96 569 39, E-Mail: wildkatze.niedersachsen@bund.net
Wildkatzenbotschafter/in: Dr. Antje Oldenburg & Klaus Todtenhausen, Tel.: 05164-801113
Auffangstationen: Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen, Tel.: 05725/70 87–30, E-Mail: info@wildtierstation.de
NABU-Auffangstation Leiferde, Tel.: 05373/6677, E-Mail: nabuartenschutzzentrum@t-online.de