Wer an lauen Sommerabenden still im Garten sitzt und den Geräuschen der Nacht lauscht, kann sie keckern und fauchen oder schmatzend und schnaufend im Gebüsch rascheln hören: Igel durchstreifen auf der Suche nach Laufkäfern, Ohrwürmern, Nacktschnecken, Regenwürmern und Raupen ihr Revier. Durch den zunehmenden Verlust ihrer ursprünglichen Habitate in einer reich gegliederten, vielfältigen Feldflur mit Hecken, Gehölzen, Wegsäumen, Staudendickichten und artenreichen Magerwiesen sind die stacheligen Säugetiere zu einem typischen Kulturfolger geworden, der heute vorzugsweise naturnahe Gärten, Parkanlagen, Friedhöfe und Streuobstwiesen in menschlichen Siedlungen bewohnt. Hier macht ihnen vor allem die Zerschneidung ihres Lebensraumes durch ein dichtes Straßennetz zu schaffen: Alljährlich werden etwa eine halbe Million Igel von Autos überrollt. Eine weniger augenfälligere Bedrohung stellt der ungebrochene Trend zu öden Schottergärten und stark gepflegtem Einheitsgrün dar, in denen Igel weder ausreichend Nahrung noch geeignete Versteckmöglichkeiten sowie Schlaf- und Nestplätze in Hecken, Sträuchern, hohlen Bäumen, Reisig- und Laubhaufen finden.
Mit dem stetig steigenden Gebrauch von motorisierten Gartengeräten wie Freischneidern, Fadenmähern, Motorsensen und Mährobotern sind die beliebten Insektenfresser einer weiteren Gefahrenquelle ausgesetzt, die Igelstationen, Wildtierhilfen und Tierheimen in ganz Deutschland eine stetig ansteigende Anzahl an Pfleglingen beschert. Dabei wird den Stachelrittern eine jahrtausendealte Verteidigungsstrategie zum Verhängnis: Bei Gefahr rollen sich die Tiere zu einer regungslosen Stachelkugel ein, so dass Gesicht, Bauch und Gliedmaßen verborgen und durch die nadelspitzen, starr aufgerichteten Stacheln geschützt sind. So können sie zwar Fressfeinde wie Marder, Iltis, Fuchs und Dachs erfolgreich abwehren, haben jedoch gegen motorisierte Gartengeräte keine Chance. Hinzu kommt, dass Freischneider von Gartenbesitzern, Hausmeistern und Bauhofbetreibern gerade dort eingesetzt werden, wo Igel ihre Schlaf- und Nestplätze einrichten, nämlich unter Büschen, an Heckenrändern und in verwilderten, überwucherten Ecken. Wurden früher im Frühjahr und Sommer nur wenige hilfsbedürftige Igel eingeliefert, die beim Kompostumsetzen mit Mistforken verletzt oder von einem Hund gebissen wurden, so verzeichnen die Tierhilfen immer mehr Igel, die mit tiefen, teils entzündeten oder von Maden befallenen Schnittwunden im Rückenbereich eingeliefert werden.
Auch Mähroboter gehören zu den neuen Feinden der Igel. Von 2015 bis 2021 hat sich der Umsatz mit den autonomen Geräten nach Informationen des Marktforschungsinstituts GfK von rund 112 auf 242 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Die als fleißige Helfer angepriesenen Geräte kommen vor allem in Privatgärten zum Einsatz, wo sie stundenlang ihre Runden drehen und dabei Blühpflanzen, Insekten, Spinnen, Schnecken, Amphibien, Reptilien und kleinen Säugetieren den Garaus machen. Obwohl die Hersteller in den Bedienungsanleitungen darauf hinweisen, dass Mähroboter möglichst tagsüber und unter Aufsicht arbeiten sollen, sind die autonomen Geräte oft nachts unterwegs. Dann tragen sie nicht nur zur Verringerung der Artenvielfalt bei, sondern gefährden auch nachtaktive Tiere, die auf Nahrungssuche über den Rasen stromern und den nahezu lautlos heranfahrenden Mähroboter nicht als Gefahr wahrnehmen. Denn entgegen landläufiger Meinung sind selbst mit Sensoren und Kameras ausgestattete Modelle nicht in der Lage, die Kleintiere zu erkennen, wie jüngst eine wissenschaftliche Studie der Universitäten Aalborg und Oxford ergab, in der 18 Mähroboter unterschiedlicher Typen, Hersteller und Gewichtsklassen an bereits toten Igeln getestet wurden. Die Folge: Die Anzahl durch Mähroboter schwer verletzter und verstümmelter Igel, die typische Verletzungsmuster im Gesicht und am Kopf aufweisen, nimmt kontinuierlich zu und führt deutschlandweit immer häufiger zu überfüllten Stationen und Pflegestellen, die aufgrund fehlender personeller, räumlicher, zeitlicher und finanzieller Ressourcen ohnehin bereits an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten.
„Während früher die Saison erst Ende Juli mit den ersten Säuglingen begann und man vorher Kraft schöpfen konnte, starten wir von Jahr zu Jahr erschöpfter in die Saison, weil unsere Intensivstationen ab April rappelvoll mit schwer verletzten Igeln sind, die aufwändige und sehr teure Operationen benötigen und eine lange medizinische Nachsorge und Pflege“, beschreibt die 1. Vorsitzende der Igelhilfe Rotenburg/Wümme, Merwel Otto-Link, ihre langjährigen Erfahrungen. Der 2019 gegründete Verein betreibt in der Hauptstelle in Rotenburg sowie in einer Außenstelle in Bremen zwei Igelstationen, die über eine hervorragend ausgestattete Intensivstation, eine Krankenstation, Küche, Waschraum und einen Außenbereich mit Boxen und Gehegen verfügen und beide in Teams von etwa zwanzig Ehrenamtlichen arbeiten. Mussten 2021 insgesamt 850 Igel stationär behandelt werden, erhöhte sich die Anzahl 2022 auf 1023, von denen 27 bzw. 36 Schnittverletzungen aufwiesen. In diesem Jahr wurden bisher 25 Schnittopfer gezählt, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte, weil viele verletzte Tiere nicht gefunden werden, sondern an einem Rückzugsort einen langsamen, qualvollen Tod sterben.
Um das sinnlose Leiden zu beenden oder wenigstens zu reduzieren, haben Vertreterinnen verschiedener Igelstationen aus dem Rhein-Erft-Kreis bereits im Oktober 2021 in einem persönlichen Gespräch dem zuständigen Abteilungsleiter des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz die dramatische Situation geschildert und ein generelles Nachtverbot für Mähroboter gefordert. Passiert ist seither nichts. „Solange der Gesetzgeber wider besseren Wissens untätig bleibt, können wir nur auf Aufklärung setzen und eindringlich an die Einsicht der Gartenbesitzerinnen und Gartenbesitzer appellieren“, fasst Dr. Antje Oldenburg, Pressesprecherin des NABU Heidekreis, die derzeitige Lage zusammen. Aus Sicht des Naturschutzvereins sollte am besten mehr Wildnis im eigenen Umfeld wagen und gänzlich auf den Einsatz von Mährobotern, Freischneidern & Co verzichten, um Igel, Jungvögel und andere Gartenbewohner nicht zu gefährden. Giftfreie, naturbelassene Gärten mit heimischen Büschen und Hecken, Blühwiesen statt kurzgeschorener Rasenflächen, wuchernden Ranken und Laubhaufen helfen nicht nur Igeln, sondern tragen generell zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Wer trotzdem motorisierte Geräte einsetzten möchte, sollte darauf achten, dass Mähroboter grundsätzlich nur unter Aufsicht zwischen 11-15 Uhr laufen. Außerdem müssen Rasenflächen, Gebüsche und andere Einsatzorte vorher kontrolliert und Wildtiere in Sicherheit gebracht werden, zumal es nach §44 BNatSchG verboten ist, wild lebende Tiere ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen, zu verletzen oder zu töten sowie ihre Lebensstätten zu beeinträchtigen und zu zerstören.
Wertvolle Tipps zur Anlage naturnaher Gärten finden Interessierte auf den Internetseiten des Naturschutzbundes unter www.nabu.de, umfangreiche Informationen zum Thema Igel gibt es bei Pro Igel e.V. (www.pro-igel.de) und der Igelschutz-Interessengemeinschaft e.V. (www.igelschutz-ev.de).